| On the road - unterwegsDa sich mein Leben mittlerweile zu einem großen Teil auf Rädern abspielt, stelle ich hiermit die neue Rubrik "On the road - unterwegs" vor. In ihr werde ich versuchen, meine beiden größten Leidenschaften zusammenführen, nämlich das Schreiben und das Reisen. Dichter über Grenzen Friedrich von Schiller war Ehrenbürger der jungen französischen Republik. Und Heinrich Heine verbrachte, wenn nicht seine besten, so doch seine letzten Jahre in der französischen Hauptstadt. Aber wussten Sie, dass der erste Autor, der im neunten Jahrhundert auf Deutsch geschrieben hat, heute Franzose wäre? Aus der Feder des Otfrid von Weißenburg stammt ein fünfbändiges Evangelienbuch, das als größtes vollständig überliefertes Werk in althochdeutscher Sprache gilt. Bei uns schon längst vergessen, erhielt der Mönch jetzt im französischen Wissembourg, der langjährigen Stätte seines Wirkens, ein würdiges Denkmal. Am 19. August 2025 wurde dort der sentier poétique eingeweiht, ein „poetischer Weg“, der am historischen Salzhaus mit einer Tafel über Otfrid von Weißenburg beginnt. Es folgen elf weitere Tafeln über elsässische Autoren, wie Marguerite Haeusser oder André Weckmann, und zwar jeweils auf Deutsch und Französisch. Halt – natürlich auf Deutsch, auf Französisch und auf Elsässisch! Abstecher nach Rumänien Im äußersten Südosten von Ungarn. Tausend Kilometer habe ich schon mit dem Fahrrad kreuz und quer durch das Land zurückgelegt und bin noch immer frisch verliebt in es! Zumal ich das Glück hatte, hier in Mako zu einer sehr erfreulichen Privatführung zu kommen. Trotzdem lockt es mich, das unbekannte Banat hinter der noch vor kurzem beinahe undurchdringlichen Grenze. So breche ich zeitig auf und verlasse die Stadt auf einem kleinen Sträßchen, um nicht erneut die stark befahrene Europastraße entlangradeln zu müssen.
Als ich in Kövegy, der letzten Ortschaft vor dem Grenzübergang Nagylak/Nădlac noch einmal mit meiner Liebsten in Thüringen telefoniere, um mich für unbestimmte Zeit bei ihr abzumelden, fährt genau in diesem Augenblick ein Omnibus vorüber. Seine Aufschrift verrät sein Vorleben beim VEB Kraftverkehr Kahla und ich kann diesen seltsamen Zufall gleich in die Heimat weitermelden. Dann die Grenze. Ich bin überglücklich, dass ich es tatsächlich mit dem Fahrrad von Deutschland bis hierher geschafft habe, und zum Bersten gespannt, was mich auf der anderen Seite des Schlagbaums im Jahr vier nach Ceauşescu erwartet. Mit einem leichten Anflug von Schadenfreude kann ich eine endlose Schlange wartender Autos überholen, erledige in Windeseile alle Formalitäten – und schon bin ich drüben. Der Unterschied zu Ungarn zeigt sich zunächst im katastrophalen Straßenzustand. Zusammen mit dem noch immer starken Verkehr macht er das Fortkommen ziemlich beschwerlich und unangenehm. In Pecica, knapp dreißig Kilometer hinter Nădlac, nehme ich in einem hygienisch sehr bedenklichen Wirtshaus meine Mittagsmahlzeit zu mir. Die handgeschriebene Speisekarte ist recht umfangreich, entpuppt sich aber als reine Propaganda. Während ich versuche, mir etwas auszusuchen, schrumpft sie mit atemberaubender Geschwindigkeit zusammen, bis schließlich nur noch wenig vertrauenerweckende Würstchen mit Brot übrigbleiben. Als mir das Menü serviert wird, stelle ich erleichtert fest, dass die an Leichenfinger erinnernden Gebilde immerhin gut durchgebraten sind – was die drohende Gefahr einer Lebensmittelvergiftung hoffentlich ein bisschen abmildert! Nach diesem dürftigen Einstieg in die rumänische Gastronomie mache ich mich auf die Suche nach einer Nebenstraße, die von hier nach Sînpetru German führen soll. Tatsächlich finde ich einen grob gepflasterten Weg und eine Passantin erzählt mir auf meine Frage hin irgendetwas von „Barka“. Ich interpretiere es als Hinweis auf eine Fähre und als ich den Mureşul – wie der Maros hier heißt – erreiche, sehe ich meine Vermutung bestätigt. Vor mir liegt eine Szenerie, die irgendwo „In den Schluchten des Balkan“ von Karl May hätte beschrieben sein können. Tiefe Gleise führen durch den Matsch ans Ufer und zu einem Kahn, der von verwegen aussehenden Burschen mit langen Stangen durch den Fluss gestakt wird. Die Landstraße verdient auch nach dem Übersetzen nicht diese Bezeichnung, doch dafür erwartet mich das Dorf Sînpetru German als angenehme Überraschung. Es macht einen etwas altbackenen, aber dennoch sehr adretten Eindruck, etwa so, wie ich mir das Landleben bei uns daheim in den dreißiger Jahren vorstelle. Die gepflegten Häuser sind weiß und bunt getüncht und mit vielen farbenprächtigen Blumen geschmückt. Dazwischen und auf den pfützenübersäten Straßen tummeln sich Hühner und Gänse. Auch stattliche Truthähne sind zu sehen und ich beeile mich, meine roten Satteltaschen unbemerkt an ihnen vorbeizuschmuggeln. Über unbefestigte Feldwege, die auf meiner alten Jugoslawienkarte im Maßstab 1:1.000.000 nicht einmal zu erahnen sind, fahre ich weiter nach Süden. Nur der Himmelsrichtung folgend gelange ich tatsächlich nach Gelu und über eine klassifizierte, aber dennoch entsetzliche Straße mit gröbstem Pflaster weiter nach Barateas. Dort finde ich den ersehnten Wegweiser nach Timişoara und mache Rast in einer Gartenwirtschaft. Man sitzt sehr hübsch dort, unter einem schattigen Dach aus Bäumen, und ich spüle den Sand der Felder und Dörfer mit zwei Gläsern Limonade herunter. Noch scheint die Sonne, doch wenig später verfinstern tiefschwarze Wolken den Himmel. Dazu bläst ein starker Sturm Unmengen von Staub über das Land, der das verbliebene Licht nochmals dämpft. Käme der Wind von vorn, so könnte ich keinen Meter mehr weiterfahren! In jeder Sekunde warte ich darauf, dass ein Unwetter losbricht, und versuche dabei, die Entfernung bis nach Timişoara einigermaßen realistisch abzuschätzen. Ich bin mir sicher, dass ich es unmöglich trocken bis dorthin schaffen kann, und nehme mir vor, mich im nächsten Ort nach einem Privatquartier umzuschauen. Plötzlich sehe ich rechts der Straße ein großes Tor, neben dem unmissverständlich das Wort „Hotel“ zu lesen ist. Ich fahre hinein, in einen verwilderten Park, in dem eine Reihe flacher Gebäude steht. Eine alte Frau sitzt auf einem Bänkchen, sonst ist niemand zu sehen. Ich frage sie, ob ich hier übernachten könne. Unsere Verständigung weist große Mängel auf, doch immerhin versteht sie soviel, dass ich Schutz vor dem Wetter suche, und öffnet mir eine Tür. Der dahinterliegende Raum ist völlig kahl und wenig einladend. So ziehe ich es vor, mich in der menschenleeren Rezeption niederzulassen, in der einige Indizien darauf hindeuten, dass irgendwann irgendjemand auftauchen könnte: ein voller Aschenbecher, eine leere Kaffeetasse und ein paar Münzen, die auf dem Schreibtisch herumliegen. Das Licht funktioniert nicht und da zu den schwarzen Wolken jetzt noch die Abenddämmerung hinzukommt, ist es ziemlich finster. Immerhin stehen längs der Wände schmale, gepolsterte Bänkchen, und ich überlege mir, dass ich notfalls auf ihnen schlafen könnte. Als die ersten dicken Tropfen herniederprasseln, kommt ein Mann herein, der quer über das Gesicht einen Verband trägt. Selbstverständlich könne ich ein Zimmer bekommen, sagt er, nimmt meinen Reisepass in Verwahrung und führt mich zu einem der anderen Häuser. Im Schein der Taschenlampe gehen wir durch einen breiten, muffig riechenden Gang und er schließt mir eine Tür auf, mit der Empfehlung, mein Fahrrad im Bad abzustellen. Es ist tatsächlich ein Zimmer mit Bad, auch mit richtigen Möbeln und mit ehemals schönen Tapeten. Aber … aber mit einer Luft, als sei es mindestens zehn Jahre lang regelmäßig mehrere Monate überflutet gewesen und dazwischen niemals gelüftet worden! Die Suche nach etwas Essbarem treibt mich gleich wieder nach draußen und dort merke ich, dass auf dem dunklen Flur noch jemand unterwegs ist. Artig sage ich „Bona seara“ und erhalte eine Antwort, der gleich darauf eine mir unverständliche Frage folgt. Ich sage: „Sint german – ich bin Deutscher“ und die Stimme sagt auf Deutsch: „Ich doch auch!“ Dann taucht aus der Finsternis eine alte Dame auf. Sie bittet mich um Streichhölzer, weil sie Probleme hat, ihrem Feuerzeug eine Flamme zu entlocken. Ich biete ihr meine Taschenlampe an, doch eine solche hat sie schon und benötigt nur noch etwas, mit dem sie ihre Kerzen anzünden kann. Also gehe ich mit in ihr Zimmer, bin ihr beim Lichtmachen behilflich und gebe ihr einen Schnellkurs in der Bedienung von Feuerzeugen. Sie ist Rumäniendeutsche – erfahre ich – stammt aus dieser Gegend und lebt seit langem im bayrischen München. Doch ihr Rheuma (und wohl auch ein bisschen Heimweh) lassen sie regelmäßig hierher zurückkehren. Denn ich befinde mich in Calaçea, in einer abgewirtschafteten Kurklinik, die allem äußeren Anschein zum Trotz noch in Betrieb ist. Es wird ein unerwartet schöner Abend. Die Frau freut sich genauso wie ich über die unerwartete Gesellschaft, und ich höre im Kerzenschein gespannt ihren Erzählungen zu. Drei ungarische und eine Roma-Familie lebten ursprünglich in ihrem Heimatdorf, der Rest waren ausnahmslos Deutsche. Doch nach und nach sind sie alle ausgewandert und auch sie selbst hat ihre Familie Stück für Stück nach Deutschland geholt. Geblieben sind nur die Gräber der Ahnen, für immer verschlossen mit ebenso pflegeleichten wie hässlichen Betonplatten. Und das horrende Lösegeld für die Ausreisewilligen, das auf Nimmerwiedersehen in den Taschen von Ceauşescus roten Ganoven verschwand. Weil sie schon in jungen Jahren anfing unter Rheuma zu leiden und ihr nur das Thermalbad von Calaçea Linderung verschaffen konnte, blieb sie dem Ort auch in der Fremde treu. Regelmäßig kommt sie aus der bayrischen Hauptstadt zu ihren Badekuren hierher zurück. Dabei hat sie erhebliche Anstrengungen unternommen, um sich in dem abgewrackten Sanatorium einigermaßen wohnlich einzurichten. Hat ihr Zimmer erst einmal vom Fußboden bis zur Decke geschruppt und in weiser Voraussicht Kerzen mitgebracht, denn der Strom fällt mit ziemlicher Regelmäßigkeit immer mal wieder aus. Die Angestellten, berichtet sie mir, hätten seit Monaten keinen Lohn mehr gesehen und das Aussehen des Direktors – der mit dem Verband – diagnostiziert sie mit einiger Bestimmtheit als gewalttätige Folge übermäßigen Alkoholkonsums. Sogar zu einem Abendbrot einschließlich einer Flasche Bier komme ich noch völlig unverhofft, denn rumänische Freunde und Ex-Nachbarn haben meine Gastgeberin überreichlich mit Lebensmitteln versorgt. Da sie hier aber Vollpension hat (und wohl auch nur isst wie ein Rotkehlchen), kann sie die guten Gaben gar nicht alle bewältigen, die stattdessen nun meinen Magen füllen dürfen. Vermissen tut sie nur Zitronensaft, um das Leitungswasser ein wenig schmackhafter zu machen. Den wiederum habe ich aus demselben Grunde bei mir und kann ihn ihr als kleines Dankeschön dalassen. Zu später Stunde und bei nunmehr elektrischem Licht verabschiede ich mich mit der Bemerkung, dass ich noch duschen wolle. Sie meint, dass das bei mir im Zimmer ohnehin nicht ginge und bietet mir stattdessen an, mir den Weg ins Badehaus zu ebnen. Ich lehne dankend ab, aber ihre Prognose bezüglich meines Bades erweist sich als Volltreffer. Die Dusche funktioniert gar nicht, der Wasserhahn läuft nur kalt und alles ist mit einer dicken Schicht ekliger Schmiere überzogen. Als ich mit meiner zwangsweisen Katzenwäsche fertig bin, klopft es an der Tür und steht davor sie – bewaffnet mit einem großen Frotteehandtuch! Bei so viel Fürsorge traue ich mich nicht, ihr zu widersprechen und marschiere mit ihr hinüber ins Badehaus. Hier ist es noch immer dunkel. Mit der Taschenlampe leuchten wir in schmuddelige Bäder, in denen die Wannen in den Boden eingelassen sind. Gott sei Dank bringen wir das Wasser nicht zum Laufen, denn an dem einzigen funktionierenden Hahn fehlt der Griff. Wie wir am nächsten Morgen feststellen, ist er abgefallen und liegt unten im Dreck. Mein Bett ist feucht, kalt und schmutzig und um überhaupt schlafen zu können, stopfe ich noch eine zweite Wolldecke unter das Laken. Genauso ärmlich ist das morgendliche Frühstück. Zwar mir Weißbrot, Marmelade und Tee, aber ohne solche kleinen Raffinessen wie Butter oder Zucker. Mit Erstaunen sehe ich den regen Betrieb im Speisesaal, nachdem ich am Vortag das Gefühl hatte, in einem Geisterhaus gelandet zu sein. Neuntausend Lei kostet die Vollpension, und für Übernachtung und Frühstück muss ich viertausend Lei berappen, also knapp vier DM. Für mich ein lächerlicher Klacks, doch für einen rumänischen Pensionär mit dreißigtausend Lei Mindestrente ein kleines Vermögen. Nach einem Abschiedsphoto von meinem rettenden Engel fahre ich bei Nieselregen los – und kehre drei Minuten später mit einem gerissenen Bremszug wieder zurück. Schnell ist er ausgewechselt und ich kann endgültig starten. Die sechsundzwanzig Kilometer bis Timişoara werden indes zur Qual. Der Regen nimmt stetig an Stärke zu und meine bislang unerprobten Plastik-Überschuhe aus Krankenhausbeständen lassen das Wasser zwar herein, aber nicht wieder hinaus. So habe ich nach kürzester Zeit an beiden Füßen kleine, wohlgefüllte Badewännchen, derer ich mich schnellstens wieder entledige. Bei Carani überhole ich eine Roma-Sippe, die mit Planwagen unterwegs ist. Gezogen von Pferden und über und über bedeckt mit Pfannen, Töpfen und sonstigem Hausrat. Ein alter Schlager aus den sechziger Jahren fällt mir ein, mit den verklärenden Zeilen „Die Wagen so bunt, die Pferdchen so zottig, sie zogen die Wagen so schwer.“ Doch die Pferdchen sind rappeldürr statt zottig und die Wagen nicht bunt, sondern grau und tausendfach geflickt. So vermag ich hier keine Zigeuner-Romantik erkennen, sondern nur allerbitterste Armut! Kurz hinter Sinandrei erreiche ich die Nationalstraße und fahre wenig später durch einen großen Triumphbogen in die „Stadt der Märtyrer" ein, in der 1989 die rumänische Revolution und der Sturz der kommunistischen Diktatur begannen. Darauf sind ihre Bürger sichtlich stolz und überall erinnern Gedenktafeln an die zahllosen Opfer, die damals zu beklagen waren. Mitten im Zentrum finde ich im Hotel Timişoara ein Quartier, das durchaus geeignet ist, meinen schlechten Eindruck vom rumänischen Beherbergungswesen zu revidieren. Allerdings liegt der Preis mit neunzig DM in einem Bereich, der für einheimische Normalbürger unerschwinglich sein dürfte. Das Zimmer ist noch nicht bezugsfertig, aber wenigstens kann ich mein Gepäck und mein Fahrrad unterstellen, um mich in der Stadt zu orientieren und zu Mittag zu essen. In Anbetracht der erlittenen Strapazen entscheide ich mich für ein Nobelrestaurant mit einem gediegenem Interieur, in dem mir gleich fünf Kellner ein ausgezeichnetes Essen servieren. Es weht noch ein Hauch von k. u. k. Monarchie durch das vornehme Haus und einzig und allein das leicht fleckige Tischtuch ist der eleganten Atmosphäre ein klein wenig abträglich. Zurück im Hotel kann ich meine durchnässten Schuhe endlich gegen trockene Sandalen eintauschen und dann zu einem Rundgang durch die Stadt aufbrechen, während die Wolken zögerlich der Sonne Platz machen. Schon bei der Durchfahrt hatte ich viel Schönes gesehen, das absolut nicht zu den gängigen Vorurteilen vom finsteren und rückständigen Land passte, und diesen Eindruck finde ich jetzt bestätigt. Geradezu ein Schmuckstück ist der riesige gepflasterte Domplatz, der von bunten Bürgerhäusern gesäumt wird. Oper und Dom beherrschen ihn und in seiner Mitte leuchtet der Strahlenkranz der Mariensäule golden in der Sonne. Geschäfte und Imbisse säumen die Straßen, auf denen viele Autos unterwegs sind und eine Straßenbahn, die schon im neunzehnten Jahrhundert ihren Betrieb aufnahm, nämlich 1899. Übrigens nicht das einzige Beispiel technischen Pioniergeistes, denn Temesvâr, wie es damals hieß, war die allererste Stadt in Europa mit einer elektrischen Straßenbeleuchtung! Ich schlendere auch durch die ausgedehnte Fußgängerzone mit Grünanlagen und Springbrunnen, an deren einem Ende die Oper steht und am anderen die rumänisch-orthodoxe Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen. Sie ist ein schlankes, im wahrsten Sinne des Wortes himmelhoch aufragendes Bauwerk, das erst in den dreißiger Jahren errichtet wurde und nicht weniger als elf Türme und Türmchen zählt. Meine Einkäufe schließen eine Tageszeitung mit ein, die ich zwar mit Ausnahme einiger Schlagzeilen nicht lesen kann, die ich aber dringend benötige, um meine durchweichten Schuhe mit ihr auszustopfen. Wieder daheim sehe ich mir eine deutschsprachige Sendung des rumänischen Fernsehens an. Sie ist ausgesprochen interessant und berichtet unter anderem ausgiebig über Timişoara, wo kurz zuvor ein Treffen der deutschen Minderheit stattgefunden hat. Das Frühstück wird der sonstigen Ausstattung des Hotels und vor allem seinem Preis nicht gerecht: Ein Kleckschen Marmelade, überlagerter Frischkäse ohne jede Frische und bitterer Kaffee, für den ich auch nach einer Bittprozession in die Küche keine Milch bekommen kann. Immerhin sind meine Schuhe halbwegs getrocknet und das Wetter wieder sonnig und schön. Trotzdem beschließe ich, nach Ungarn zurückzukehren, wo derartig feuchte Episoden aufgrund der besseren Infrastruktur leichter zu verkraften sind. Dabei denke ich vor allem an die vielen Bushäuschen, in denen ich schon mehrfach kurze Regenschauer unbeschadet überstanden habe. Die einundfünfzig Kilometer bis Arad lege ich auf der Nationalstraße 69 zurück, mit ziemlich viel Verkehr und noch mehr Schlaglöchern. Interessant finde ich dabei Șagu, ein ehemals schwäbisches Dorf auf halber Strecke, dessen riesige Kirche gleich drei Türme hat und irgendwie nicht so recht zu dem kleinen Ort passen will. In Arad überquere ich den Mureşul, diesmal auf einer Brücke, und sehe mich ein wenig im Stadtzentrum um. Imponierend ist das große Rathaus, davor ein Platz mit schönen Grünanlagen. In einem Park stoße ich zu meinem Erstaunen auf eine aufwendige Informationstafel, die zu umweltbewusstem Verhalten aufruft und über Themen wie das Waldsterben Auskunft erteilt. Auf der Terrasse einer Pizzeria esse ich zu Mittag und gönne mir dazu ein Glas Rotwein. Zum Glück ist der mit den rumänischen Rebenprodukten in deutschen Supermarktregalen nicht zu vergleichen. Er schlägt sie allesamt um Längen! Nach einigen Ehrenrunden finde ich dann tatsächlich das kleine Sträßchen, das mich nach Curtici und weiter nach Sinmartin bringen soll. Es lässt sich jetzt herrlich fahren, bei Sonnenschein, fast ohne Verkehr und mit immer neuen Eindrücken. Ausgerechnet hier im Banat, einem Landstrich, der schon seit einem dreiviertel Jahrhundert nicht mehr zu Ungarn gehört, treffe ich auf alle Klischees, die man gemeinhin mit der Puszta verbindet. Nicht nur von berittenen Hirten bewachte Rinder grasen entlang der Straße, auch Schweine sausen bei meinem unvermuteten Auftauchen laut quiekend die Böschung hinauf. Die Dörfer sind sehr dünn gesät, dazwischen liegen ab und zu einzelne Höfe, deren Ställe und Scheunen nach alter Tradition mit einer dicken Lage Stroh gedeckt sind. In Sinmartin hört die geteerte Straße abrupt auf und ich muss über zehn Kilometer auf einer Piste weiterfahren, bei der sich grober Schotter mit nicht minder unangenehmen Pflaster aus grob behauenen Steinen abwechselt. In Socodor erreiche ich die Hauptstraße in Richtung Grenzübergang und habe noch eine flüchtige Begegnung mit einem Bauern. Als er mich die Landkarte studieren sieht, hält er mit seinem Pferdefuhrwerk an und fragt, ob er mir auf der Suche nach dem Weg helfen könne. Gemeinsam werden wir fündig und wechseln, soweit unsere verschiedenen Sprachen dies zulassen, ein paar Worte über das Wetter, über die schöne Gegend und über meine Reise. Es ist Nachmittag am Pfingstsamstag und der Verkehr auf der Transitroute deshalb zum Glück nicht so stark wie sonst. Die wenigen Lkws, die an mir vorbeibrausen, sind mir bei dem starken Gegenwind sogar ganz willkommen, weil sie mich jedes Mal ein Stückchen mit sich vorwärts ziehen. Vor der Grenze bemerke ich mit Schrecken, dass mein Ausreise-Talon verschwunden ist. In aufsteigender Panik durchwühle ich meine sämtlichen Taschen, doch das Papier bleibt unauffindbar. Also bleibt mir keine andere Möglichkeit, als mich mit Chuzpe und freundlicher Ahnungslosigkeit durch die Kontrollen zu mogeln. Diese Taktik beschert mir zwar ein bisschen Herzklopfen, ist aber letztlich von Erfolg gekrönt und bringt mich wohlbehalten nach Ungarn zurück. Denn welcher Grenzbeamte möchte sich schon wegen eines offensichtlich harmlosen Radfahrers mit hässlichem Schreibkram belasten? Knapp einhundertdreißig Kilometer sind mir in Anbetracht der nicht ganz einfachen Straßenverhältnisse für heute genug und so verbringe ich die Nacht in Gyula, unweit der düsteren, nahezu fensterlosen Burg. Die Banken, auf denen ich Geld tauschen könnte, haben alle geschlossen und so bin ich ein wenig in Sorge, ob mir meine Reserven an ungarischen Forint über die Feiertage hinweg reichen werden. Sie erweist sich indes als unbegründet, denn das Hotel ist nicht nur erstklassig eingerichtet, sondern auch spottbillig. Via Satellit schaue ich mir auf einem werbefinanzierten Privatsender „Animals are so beautiful“ an, diesen wunderbaren Tierfilm aus Südafrika, und bediene ich mich nebenbei an der überquellenden Minibar. Rotwein, Knabbereien und auf dem Bildschirm betrunkene Elefanten – es geht mir richtig gut! Und später - viel später - gab's dann noch das hier: Wilder Westen zwischen Weinbergen? Wie kommt ein waschechter Trapper in ein Winzerstädtchen in der Pfalz? Ganz einfach – er wurde dort geboren! Im Jahr 1748 als Johann Adam Hartmann in Edenkoben. Im Alter von sechzehn Jahren wanderte er nach Nordamerika aus und verdiente sich dort seinen Lebensunterhalt als Jäger und Fallensteller. Kein Geringerer als James Fenimore Cooper setzte ihm mit dem Romanzyklus „Lederstrumpf“ ein literarisches Denkmal. Ende des letzten Jahrhunderts ehrte ihn seine Heimat dann mit diesem aufwändig gestalteten Brunnen im Stadtzentrum. Vergessene Helden Wahrscheinlich war es einfach die falsche Jahreszeit. Ganz Frankreich, nein: ganz Europa, schien sich Anfang August in Richtung Kanalküste in Bewegung gesetzt zu haben. Honfleur, Trouville, Deauville … Namen wie Musik und dazu voller Erinnerungen! Aber alle ohne ein freies Plätzchen für mich, für den Hund und unseren kleinen Camper. Ich irrte von Rezeption zu Rezeption, sagte mein Sprüchlein auf – und fuhr gezwungenermaßen weiter. Dann auf einmal ein Campingschild an einer Stelle, wo eigentlich kein Zeltplatz verzeichnet war. Ich folgte ihm und stieß nach einhundert Metern auf ein langgezogenes Wirtschaftsgebäude, offensichtlich halb Scheune und halb Stall. Als ich anhielt, tauchte eine Frau in Arbeitskleidung auf und erklärte mir, dass ich mich gern zu den anderen Wohnmobilen dazustellen dürfe. Hinten auf der Wiese. Neun Euro für die Übernachtung war nicht viel und schloss einen Verschlag in der Scheune mit ein, in dem sich ein Plumpsklo befand.
Auf den Spuren von Arthur Rimbaud ... in seiner Geburtsstadt Charleville Die Totenvögel Herr, wenn kalte Wiesen frieren,
--- und hier die passende Begleitmusik (zum Anhören Bild anklicken): |
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