Geschüttelt und geringelnatzt
Verträumt und ferngeweht
Die Liebe kam im Linienbus,
ganz hinten in der Hundertdrei.
Dort gab sie ihm den ersten Kuss
und spürte Amors Pfeil dabei.
Ansonsten nahmen sie das Rad,
eroberten so ihre Welt
aus Schule, Disko, Hallenbad,
die Schöne und ihr junger Held.
Dahinter lockten Westberlin,
die Jungferninseln und Hawaii.
Dort wollte sie dann mit ihm hin,
sobald die Büffelei vorbei.
Vom süßen Leben träumte sie,
wie er von ihrer süßen Brust,
berührte und verführte sie
zu zuckerfreiem Zuckerguss.
Liebkoste auch die kleine Perle
in ihrer hübschen Muschel drin;
zu ihr, da zog es viele Kerle,
doch nur nach ihm stand ihr der Sinn.
Wie junge Hunde mit ihm ringen,
dazu riet ihr die Phantasie,
sich eng um nackte Hüften schlingen,
die Gischt der Brandung vis-à-vis.
Wie kleine Kätzchen mit ihr balgen,
dafür fehlt ihm die Phantasie,
auch graust es ihm vor Schlick und Algen,
er mochte dieses Zeug noch nie.
Dafür ließ er die Glocken klingen,
erfüllte ihr den Traum in Weiß,
band sie an sich mit gold‘nen Ringen,
fand sie als Braut noch immer heiß.
Ein Charterflug, der brachte sie
drei Jahre drauf nach Rimini,
mit Blick zum Pool entstand ihr Kind.
Jetzt liebt er seinen Benz statt sie,
sie hofft bis heut auf Napoli –
und, dass sie jemand Neues find!
Kariertes Maiglöckchen
Zwischen weißen Steinbröckchen
wuchs ein kariertes Maiglöckchen.
Da kam ein braunes Steinböckchen,
fraß das karierte Maiglöckchen.
Doch das war eine Schachbrettblume.
Man weiß schon seit dem Altertume,
dass giftig von ihr jede Krume,
und warnt deshalb vor dem Konsume.
Starb drum das arme Steinböckchen?
Erbrach zuvor ein Breibröckchen?
Garniert mit grünen Schleimflöckchen
und dem karierten Maiglöckchen?
Die Blume trägt es mit Geduld,
es trifft sie schließlich keine Schuld.
Sie, die als Kiebitzei bekannt,
ward nach dem Perlhuhn einst benannt.
Doch bringt sie keinen Steinbock um,
denn der – springt ganz woanders rum!
Begegnet ihm nur im Gedicht,
entleibt ihn sonst beileibe nicht.
Kleine Geschichte der Zahnheilkunde
Ein Urmensch kaute Mammutknochen,
da ist ein Zahn ihm abgebrochen.
Der eiterte schon bald darauf
und er gab seine Seele auf.
Ein Gallier nagte Wildschweinknochen,
da ist ein Zahn ihm abgebrochen.
Er ging zu des Druiden Haus,
der zog ihm schnell den Stummel raus.
Ein Römer konnte sehr gut kochen,
drum ist kein Zahn ihm abgebrochen.
Doch liebte er den Zucker sehr
und räumte so den Kiefer leer.
Viel später dann in Isfahan,
behandelte gar manchen Zahn
ein Mann, der Avicenna hieß
und den man als Genie anpries.
Bei uns, da wirkten mehr die Bader,
sie schröpften, ließen oft zur Ader
und rupften gerne Zähne raus
beim Jahrmarkt und mit viel Applaus.
Noch später baute man Prothesen,
die sind aus Porzellan gewesen.
Sie förderten den Brechreiz so
und landeten schon mal im Klo.
Heute trägt man Implantate
zum Kauen und auch als Fassade.
Da sieht den Fortschritt man im Mund
in London, Moskau, Swakopmund,
in Essen, Köln und in Stralsund.
Vom Reisen
Reisen heißt für manche fliegen,
sich in Flugzeugsessel biegen,
später flach im Sande liegen,
am Buffet was Gutes kriegen
und beim Heimflug noch mehr wiegen.
Ein paar Urlaubsgrüße dichten
für die Tanten, Neffen, Nichten;
Eingeborene ablichten;
über fremde Sitten richten
und am Strand die Titten sichten.
Aber Reisen ist viel mehr
und das sagt nicht irgendwer,
sondern ich, der – bitte sehr –
liebend gern woanders wär’,
irgendwo am Mittelmeer.
Doch das ist für mich kein Reisen,
nur zu Super-Sonder-Preisen,
um’s den Nachbarn zu beweisen,
in den Ländern, den ganz heißen,
zwischen Bett und Pool zu kreisen.
Lieber fahr’ ich mit der Bahn,
wenn die Arbeit ist getan,
raus aus meinem Alltagswahn,
zum Hafen dicht am Ozean,
denn dem bin ich sehr zugetan.
Meist reicht mir auch ein alter Kahn
auf Saale, Tauber, Main und Lahn
und die Begegnung mit ’nem Schwan,
was dann so mancher Blödian
langweilig findet und profan.
Und muss es mal das Auto sein,
dann lass’ ich Luft und Sonne rein.
Denn das wäre doch gemein,
so ganz allein als armes Schwein
rundum im Blech gefangen sein.
Drum lob’ ich mir mein Cabrio,
mit ihm zu reisen macht mich froh,
von Stockholm bis Fernando Póo -
oder mit dem Deux-Chevaux
von Bordeaux nach Saint Malo.
Noch lieber nehme ich das Rad
bis nach Arad im Banat,
gönn’ mir unterwegs ein Bad
im Baggersee bei dreißig Grad
und lab’ mich abends am Muskat.
Selbst das Reisen mit den Füßen
tu’ ich meistens sehr genießen.
Hand in Hand mit meiner Süßen
Lauf’ ich über Blumenwiesen
und will von dort aus jene grüßen,
die hektisch durch die Wolken düsen.
Wenn auch ihre Flieger stinken,
so werd’ ich ihnen trotzdem winken,
beim Picknick ein Glas Rotwein trinken,
dazu ein Stück Serrano-Schinken -
zuletzt, wenn sie zur Gangway hinken,
mit meinem Schatz im Gras versinken!
Die Pacht am Rhein?
Der Rhein, ein deutscher Schicksalsfluss –
dem Märchen man misstrauen muss.
Denn die Hälfte seiner Fluten
fließt auf außerdeutschen Routen,
aus Luxemburg, Wallonien, Flandern,
in Mosel, Maas und all den andern;
sogar aus Norditalien Tropfen
diskret an seine Deiche klopfen.
Die Quellen sprudeln in der Schweiz,
das wusste man in Rom bereits,
danach kommt erstmal Liechtenstein,
auch ihm gehört ein Stück vom Rhein;
selbst in der Donaumonarchie
soff gern aus ihm das liebe Vieh.
Vom Bodensee zum Wasserfall
durchbricht er Grenzen überall,
gibt Basel einen Fastnachtskuss,
wird halb dann zum Franzosenfluss;
und erst, wenn ihn die Lauter speist,
er nur noch durch Germanien reist.
Das Narrenschiff, es kommt vom Main
und kreuzt ab Mainz gern auf dem Rhein,
raubt Philistern ihren Schlaf,
erst mit Helau, dann mit Alaaf,
wenn aus Kamellen Orden funkeln
und Bauer, Prinz und Jungfrau schunkeln.
Doch lässt er Deutschland ganz im Stich
drei Tage drauf bei Emmerich,
streift vorher kurz das alte Xanten,
wo Drusus‘ freche Römer standen,
durchquert zuletzt die Niederlande
und findet dort zum Nordseestrande.
Drum sollte er, der Vater Rhein,
für ganz Europa Mutter sein,
die Klammer, die zusammenhält,
was uns am Kontinent gefällt.
Verdient deshalb ein neues Lied,
statt jenem, das zum Krieg einst riet!
- 2024 hinter den Türchen. In: Südthüringer Literaturverein (Hrsg:): Thüringer Ansichten 2024. Edition Sinnbild. Suhl 2024
- Adams Äpfel / Adam's apples / Les pommes d'Adam. In: LitPro Würzburg e.V. (Hrsg.): ARIEL Issue 1 – 2020 »The Erotics of Fruit«. (ISBN: 978-3-8260-6947-5)
- Einmal Main-Aal. In: Magnus Tautz u. a.: Hundefreuden & Katzenabenteuer. Erzählungen und Gedichte über Tierwelten. Books on Demand. Norderstedt, 2020 (ISBN-13: 9783750493643)
- Kiesel rot-weiß. Merk-Würdiges und Ergötzliches aus Thüringen und Franken. Iatros-Verlag, Sonnefeld, 2019 (ISBN 978-3-86963-620-7)
- Wer weiß ... In: Heins, Rüdiger (Hrsg.): 365 Tage Liebe. Wiesenburg-Verlag. Schweinfurt, 2017 (ISBN 978-3-95632-615-8)
- Vom Baggerzahn. In: Schulz, Detlef (Hrsg.): Machen Sie aus Ihrem Leben ein Kunstwerk! Wandkalender für 2016. Dr. Detlef Schulz. Essen, 2015
- Leipziger Notenspiegel. In: „O Freude. Leipzig im Gedicht. Lyrik & Prosaminiaturen”. Poesiealbum neu, Nr. 1/2015, edition kunst & dichtung. Leipzig, 2015 (ISSN 2193-9683)
- Aktion Ungeziefer. In: Röchter, Franziska: „Strohblumenstörung – Politische Dichtung der Gegenwart”. chiliverlag. Verl, 2015 (ISBN 978-3-943292-25-1)
- Kleine Geschichte der Zahnheilkunde. In: Schulz, Detlef: „Auf den Punkt gebracht. Gedichte rund um das Thema Zähne.” Verlag Peter Pomp. Bottrop, 2014 (ISBN 978-3-89355-817-9)
- Blaufichten. In: Autorenverband Franken: „50 Jahre Autorenverband Franken e. V.” sonderpunkt verlag. Münster, 2014 (ISBN 978-3-95407-039-8)
- Wertverluste. In: Wenig, Heike (Hrsg.): „Worte reden - Worte schweigen“. HW-Verlag. Dorsten, 2013 (ISBN 978-3-932801-62-4)
- WERTE SCHÜTZEN!? In: Kulturring in Berlin e. V. (Hrsg. und Verlag): „Frieden ist mehr…“ Berlin, 2012 (ISBN 978-3-9814590-4-3)
- Kariertes Maiglöckchen. In: Associação dos amigos da leitura e do filme no Algarve: „Karierte Maiglöckchen”. edition ALFA. Portimao, 2012 (ISBN 978-989-95665-5-2)
- Am Anfang war der Abzählreim. In: „Wir sind Dichter; der athmer Lyrikpreis 2009“. JCS. Sophienhammer, 2009